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Das Projekt

Ursprünglich von Marvin Minsky zur Beschreibung von Datenstrukturen im Bereich der Künstlichen Intelligenz eingeführt, wurde der Frame-Begriff in den 1990er Jahren vom Kognitionspsychologen Lawrence Barsalou zu einem Modell mentaler Repräsentation entwickelt und bald auch in der Linguistik und Wissenschaftstheorie aufgegriffen. Das einheitliche Format, das die Frame-Theorie als Struktur von Repräsentationen in Sprache, Kognition und Wissenschaft postuliert, ist das einer Attribut-Wert-Struktur. Attribute sind generische Merkmalsdimensionen eines Gegenstands, eines Ereignisses oder einer Kategorie, die durch bestimmte Werte, d.h. Merkmalsausprägungen, spezifiziert werden – denen ihrerseits weitere Attribute zukommen können. So mag z.B. einem konkreten Apfel das Attribut FARBE mit dem Wert rot und diesem Wert wiederum das Attribut SCHATTIERUNG zukommen, etwa mit dem spezifischeren Wert scharlachrot. Solch rekursive Attribut-Wert-Strukturen liegen der Frame-Theorie zufolge nicht nur unserer kognitiven Erfassung von Gegenständen zugrunde, sondern liefern die angemessene Rekonstruktion all unserer sprachlichen Repräsentationen und sogar komplexer wissenschaftlicher Theorien. 

Ein einheitliches Format kognitiver, sprachlicher und wissenschaftlicher Repräsentation

Während die spezifische Vorstellung, die sich die Frame-Theorie von der Organisation begrifflicher und sprachlicher Information macht, ihren Ursprung in neuesten technologischen und wissenschaftlichen Entwicklungen zu nehmen scheint, lässt sie sich tatsächlich jedoch durch mehr als 2000 Jahre Philosophiegeschichte nachverfolgen. In allen Epochen finden sich Ansätze, die wesentliche Intentionen und Annahmen mit der Frame-Theorie teilen – bis zurück zur aristotelischen Kategorienlehre, dem wohl frühesten systematischen Differenzierungsmodell unseres kognitiven Weltbezugs. Auch in verschiedenen Schema-Konzeptionen (Whitehead, Rumelhart) oder dem Paradigmenbegriff in der Wissenschaftsphilosophie (Kuhn) finden sich Parallelen zum Frame-Modell. Und nicht nur Kategoriensysteme (Aristoteles, Kant), sondern auch Gedächtnistheorien (Augustinus, Locke) teilen Grundannahmen mit der Frame-Theorie. Diesen Kontinuitäten geht das auf Vorarbeiten im Rahmen des SFB 991 rekurrierende, bis 2024 laufende DFG-Forschungsprojekt mittels einer historisch-systematischen Kontextualisierung nach und soll damit zugleich die Frame-Theorie und wesentliche Einsichten ihrer historischen Vorläufer für moderne Forschungsperspektiven und Anwendungen fruchtbar machen.

Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf der sogenannten Typensignatur, die die Über- und Unterordnungsverhältnisse von Typen von Frames in einer hierarchischen Struktur wiedergibt. Im Rahmen der Frame-Theorie repräsentiert die Typensignatur unser Weltwissen, das u.a. bestimmt, welche Attribute und Werte für so verschiedene Dinge wie Äpfel oder Theorien überhaupt in Frage kommen. So enthält die Typensignatur etwa die Information, dass der Frame Apfel kein Frame des Typs Farbe, sondern des Typs physikalisches Objekt ist, das ihm aber das Attribut FARBE zukommt und dieses nur bestimmte Werte (rot, grün) annehmen kann. Offensichtlich hat man es hier mit einem Versuch der Rekonstruktion von Klassifikationen und Inferenzbeziehungen zu tun, mit denen sich die Philosophie seit jeher beschäftigt. Die Vorstellung einer Einteilung der Gegenstände unseres Denkens in verschiedene grundlegende Typen findet sich schon in Aristoteles‘ Kategorienlehre, die auch die Grundlage für die Rekonstruktion von Kategorienfehlern (Ryle) liefert. Wie Aristoteles argumentiert, können ausschließlich Angehörigen bestimmter Kategorien bestimmte Eigenschaften nicht nur sinnvoll zu-, sondern auch abgesprochen werden. So wäre es etwa absurd, von einem Apfel anstatt von einer Theorie zu sagen, er sei (nicht) erklärungskräftig – eine Beobachtung, die die Frame-Theorie in der Typensignatur und ihrer Zuordnung von Attributen zu Typen von Frames integriert. In der Zwischenzeit ist das Phänomen des Kategorienfehlers auf vielfache Weise genauer zu rekonstruieren versucht worden (so etwa in Sommers‘ neo-aristotelischer Begriffslogik). Philosophisch interessant und umstritten an solchen dem Alltagsverständnis wohlbekannten Phänomenen unzulässiger Zuschreibungen war zu allen Zeiten die Frage, welche Schlüsse wir aus den Kategorien unseres Denkens über die tatsächliche Beschaffenheit der Dinge in der Welt ziehen können. Das Projekt geht sowohl den Beziehungen zwischen unterschiedlichen Rekonstruktionsversuchen unserer kognitiven und sprachlichen Kategorisierungen als auch diesen metaphysischen und letztlich metaphilosophischen Fragen nach.

Von den Strukturen des Denkens zu den Strukturen der Welt

Zentral ist in diesem Sinne die Frage nach den „ontologischen Verpflichtungen“ einer bestimmten Form der Repräsentation: wie müssen die grundlegenden Strukturen der Wirklichkeit beschaffen sein, wenn wir sie in bestimmten, nach verschiedenen Typen kategorisierbaren Attribut-Wert-Paaren repräsentieren können? Welchen Anlass gibt es anzunehmen, diese implizit mitgedachten Strukturen entsprächen solchen in der Realität? Ob von der Sichtbarmachung denkmöglicher Zuschreibungen und Kategorisierungen tatsächlich der Schritt zu Annahmen über die Einteilung der Gegenstände unseres Denkens in so etwas wie natürlich gegebene „Arten“ möglich ist, oder ob unsere Denk- und Sprachkonventionen keinerlei „constraints“ einer denkunabhängigen Wirklichkeit unterstehen und aus ihrer Analyse dementsprechend keine Einsichten über das Wesen der Dinge gewonnen werden können, ist eine Streitfrage, die die Methoden und Erkenntnisgrenzen der Disziplin Philosophie selbst betrifft. Das Projekt soll vor diesem Hintergrund nicht nur die ontologischen Verpflichtungen der Typensignatur aufklären, sondern auch deren Stellenwert für traditionelle philosophische Unterfangen kritisch prüfen, in denen der Schritt von der Analyse kognitiver und sprachlicher Annahmen zu solchen über natürliche Kategorien vollzogen wird. 

Verantwortlichkeit: